11. 2. 2024
Es spricht: MC Graeff
Sehr geehrte Damen und Herren, geschätzte Raum- und Zeitreisende, herzlich Willkommen auf Deck 3. Wie bei allen traditionellen Schiffen der Constitution-Klasse ist der Raum für Kunst nur klein, ein Staubkorn in der Galaxis wie das Leben ein Wimpernschlag, doch wir freuen uns sehr, dass Sie sich – aus allen Ecken und Enden des Universums herbeigebeamt – hier eingefunden haben, wo es nun wieder heißt: »Der Weltraum, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2200. Dies sind die Abenteuer des Raumschiffs Enterprise, das mit seiner 400 Mann starken Besatzung fünf Jahre lang unterwegs ist, um neue Welten zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen.« Manche mögen sich über die Tageszeit wundern, denn früher kam das ja immer um 18 Uhr. Bedenken Sie, dass wir inzwischen ja fast alle im Stadium der reiferen Jugend oder sogar nahezu erwachsen sind, die Serie vor dem Abendbrot angesichts der auf uns wartenden Ewigkeit keine eigentliche Relevanz mehr hat und die Dimension des Raumes im Kontext der bevorstehenden Zerpulverung unserer Leiber, Lebensräume und sämtlicher als »Kunst« nur vage zu umreißenden Objekte und Zustände eine relative ist. Kehren wir die Minimalisierung dieser Ausstellung also in einen Maximalismus um: »All space in a nutshell«, alles Vorstellbare mitsamt dem mitschwingenden Unvorstellbaren in einer Nußschale – oder nach James Joyce auch »in a not shall«, im Nicht- oder Nichtmehr-Seienden. Schon bekommt unser Verweilen vor diesen Bildern eine daseinshistorische Dimension. Doch bereits im ersten Abschnib der Begrüßung zu fragen, ob ein Bild eigentlich nur immer dann Kunst sei, wenn jemand es betrachtet, was innerhalb der maximal möglichen Lebensspanne vom Herstellen des Malgrundes bis zum abgeschlossenen Zerfall ja lediglich eine Reihung minimaler Zeitfenster ist, das mag etwas zu rasant sein. Also Vollbremsung und Neuanfang. Herzlich Willkommen darum nochmals in der Ausstellung »Letzte Bilder« von Dietrich Maus im Showroom der BKG im Herzen der Hofaue, der Magistrale einer Wupperschlinge, in der das Verarbeiten von Fasern zu Funktionsgeweben und Informationsträgern schon seit langem das menschliche Dasein verändert. Vom Jetzt bis zum Jahr 2200 sind es 177 Jahre; zurückgerechnet treibt uns diese Spanne in das Jahr 1846, mitten hinein ins »deutsche Manchester«. Die dampfbetriebene Eisenbahn ist eine Revolution; ebenjene von 1848 steht noch bevor. Erstmals wird ein Zahn unter Betäubung gezogen, der Planet Neptun wird entdeckt, ebenso die Schießbaumwolle als Grundstoff des Zelluloids und auch der ersten Raketentreibstoffe. Wo sonst könnte diese Ausstellung letzter Bilder also richtiger sein als hier? »Letzte Bilder« – der Titel trifft uns nur dann hart im Gemüt, wenn wir ihn auf unsere eigene Wahrnehmung beziehen, was angesichts der kosmischen Dimensionen so unnötig wie unnütz ist. Tagtäglich erreichen uns derzeit »erste Bilder« der neuen Weltraumteleskope, die unsere Blicke durch das Universum ins kaum Vorstellbare hinein erweitern und deren Sichträume aus in virtuelles Licht umgewandelten Wellen dabei auch nur verschwindend kleine Sandkörner sind in dem, was tatsächlich ist. Größer noch als jede Annahme von Gößeren als Wesen, die in dieser Ursuppe rühren, ist die Vermessenheit, anzunehmen, dass wir in unserer mikroskopischen Existenz jemals etwas Gültiges über das große Ganze erfahren oder sogar nutzen würden. Am größten jedoch sind unsere Neugier und der Drang, im Unabsehbaren nach Erkenntnissen zu 2 suchen – und damit nicht nur die Wissenschaft, sondern als deren Raketentreibstoff ebenso die Kunst. Deren heutiger Stand als Jokus und Kapitalanlage reflektiert nicht im Geringsten das Potenzial, das sie in jeder und jedem von uns tagtäglich freizusetzen vermag, und ihre Kram als Begleiterin jeglicher Entwicklung vom Abbild der ersten Hand an der Höhlenwand, dem Markieren des »Ich« in der Innenwelt unseres Staubkorns Erde, bis hin zu den Bildern des James-Webb Teleskops von der Cartwheel Galaxy, die wir, zwischen Kluse und Landgericht schwebend, auf dem Bildschirm unseres Handys betrachten. All space in a nutshell, und nur unsere Neugier ist so grenzenlos wie das All. Das Malen beginnt, bevor es irgendeinen kulturellen Wertmaßstab hat, mit dem Zeichnen des Kosmischen, mit Punkten, Strichen und Gekrakel, bevor es dann zum Bekannten kommt, zu Sonne und Mond, zum Gegenüber, zu Haus, Kuchen, Auto und den Blümelein und Vögelchen, als reines Bedürfnis und Lust am Sehen und Umsetzen. Dann irgendwann bildet sich der Wille zum Werk, zum Lernenwollen, meist mit naturgemäßen Abbildern dessen, was vor einem liegt. Realismus, Hyperrealismus, romantische Verbrämung, unerreichbar darin die Erfüllung der lebenslangen Aufgabe, eine gute Hand zu zeichnen, den Teil von einem selbst also, der das Werkzeug hält und führt, getrieben vom Strom der Wahrnehmung. Von diesem Intimsten, mit dem sicherlich auch Dietrich Maus begann, führt ein langer Weg bis zur Behauptung dieser »letzten« Bilder, zum Abbild des Unendlichen, das dank unbekannter Umstände kein Nichts ist und kein Etwas. Die Faktoren Zeit und Richtung spielen entscheidende Rollen im möglichen Erschrecken über den Ausstellungstitel, wenn wir denn die Spannen betrachten, die das Licht überwinden muss, um vom Ereignis in das Auge des Malers und durch dieses und das Bild zu uns zu gelangen. 1969, als Dietrich gerade mal 27 Jahre alt war, also in jenem Lebensjahr, in dem manche Stars wie Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Kurt Cobain und Amy Winehouse bereits ins Sternenmeer sprangen, schrieb ein Musiker der späteren Band »Plummet Airlines« bereits eine Hymne mit dem Refrain »The light is fading, / we're all waiting: / Good bye, Rock'n'Roll«. Und wenn die Lichtwellen des Jahres 1969 einmal in der Cartwheel Galaxy angekommen sein werden, fragt niemand mehr nach Schießbaumwolle oder nach dieser komischen Serie um 18 Uhr. Sind es also letzte Bilder von den ersten Dingen oder erste von den letzten? Immerhin ist es ein Sonntagmorgen kurz vorm Schweinebraten, da läge es nah, an »ta eschata« zu denken, an Tod, Gericht, Himmel oder Hölle, an Sünden und Purgatorium, an Auferstehung oder an das letzte Würfelspiel im Nobiskrug, um dem finalen Angrillen doch noch zu enflliehen … Doch es ist tatsächlich so pragmatisch wie oft bei Dietrich Maus: Es sind halt die vorerst letzten Bilder, die entstanden, nachdem es eine Zeitlang so aussehen musste, als würden keine weiteren mehr kommen. Während wir gemütlich im Lockdown dampfen, lag er schwer danieder und ließ sich im Gedankenatelier für den Fall der Gesundung neue technische Varianten seines Schaffens einfallen. Ungegenständlich sollten sie sein, Augentäuschungen, Überwindungen der Räumlichkeit, Trompe-l'oeils der Gegenwart, in der wir mit dem Skalieren unserer eigenen Erwartungen, mit Perspektiven und Wirklichkeitshinterfragungen aktuell so enorme Schwierigkeiten haben. Wie real ist noch die unkünstliche Intelligenz und wie menschlich bleibt die Kunst; wie räumlich funktioniert noch unsere Vorstellungskram, wenn mit steigenden Meeresspiegeln und den kommenden gigantischen Migrationen die Statik der Moderne zusammenbricht wie ein hellenisEscher Tempel? So entstand auf dem Lager eines Zwischenraums der Vorsatz, einmal noch die Perspektive anzugehen, diesmal nicht als Ecke eines Tisches, sondern als eine Art Kometenschwarm, als parallelperspektivische Meteoriten, die mit jeweils drei sichtbaren Flächen nur scheinbar sechs und möglicherweise unendlich viele Flächen haben, um Körper zu sein und aus Gründen der Überzeugung nicht einzeln vor unsere Augen treten sollen, sondern uns mindestens zu drib verwirren, um dem Einzelobjekt den Nimbus des merkwürdig Falschgeschriebenen zu nehmen, nur weil es unseren Sehgewohnheiten seit der einst neuen Raumauffassung der Renaissance widerspricht. Malerisch ist auf ihnen noch alles so, wie wir es als Dietrichs persönlichen Duktus erkennen, der Pinselstrich als solcher noch nicht überwunden und die Handschrim darin so persönlich wie einst bei Lenin, den Gummibäumen, Jazzern und Indianern. Doch das war erst ein Herantasten im eher noch Gewohnten an die Überlegungen, die nun folgten: Der Grund des Malens im grundlosen Raum, der Raum des Malens im raumlosen Grund, das kippende Sein, das Nichts als Wille und Vorstellung … Ist der Kosmos eigentlich fleischlich zu nennen, nur weil es Wesen gibt? Ist er dinglich oder durch das Vertreten des grenzenlos Unbekannten per se keine Sache mehr? Und wie malt man das? Ein entscheidender Schritt war, das Maltuch als Fläche und Grund des künstlerischen Seins zu durchbrechen, zu stauchen und zu knittern, durch Willkür und Pigment zur archaischen Landscham zu machen, die so anfassbar, begehbar scheint wie der Nemrud Dagh, und die doch so aufgelöst nichträumlich, unvermessbar und zur rein hypothetischen, philosophischen Raumansicht wird, in der unsere Vorstellungen vom planetaren Raum den heiligen Malgrund, das schöne Tuch, das plane Feld der Malerei zerstören und das Bild an sich gar ad absurdum führen. Natürlich ist das alles nicht erst seit Lucio Fontana nichts Neues mehr, doch geht es hier eben nicht um das Verletzen von Form und Sinn, sondern um etwas, das anders einfach nicht darstellbar ist: um das Licht, das zum Körper wird, und sei es nur als lapidarstes Objekt eines Küchenschwämmchens, das sich als Farbe wie die Nase eines Maulwurfs aus dem All heraus in unseren Blick wühlt, ins Licht unseres Erstaunens. Beliebig ist dabei rein gar nichts, denn die Schwämme, die das Dunkel aufgesogen haben, um sich der Kunst und uns erkenntlich zu zeigen, folgen den konkreten Sternbildern des menschlich wahrnehmbaren Himmels um unser Staubkörnchen herum: Skorpion, Fische, Pegasus, Delfin, Perseus und Andromeda – sie sind wahrnehmungsgetreu zusammengeschoben und dargestellt, weil es ja eben nicht darum ging, die menschlich subjektive Wirklichkeit zu verändern, sondern eher darum, über unser Sehen zu sprechen, wie es immer schon die Aufgabe des Suchenden und Lehrenden war. Ist Dietrich etwa doch astreiner Surrealist? Das Küchenschwämmchen als Exoplanet oder – je nach Skalierung; wir können die Entfernung nicht richtig ermessen – als ganze ferne Galaxie, das Universum ein Keilrahmen und unser Blick ein Raumschiff, das wir reisen und durch die Zeiten trudeln lassen, weil das Licht, das in diesen Bildern gemalt ist, gleichwohl nur ein vor Millionen Jahren gesendetes Abbild unserer Vorstellung von Licht ist? In den nichtwelträumlichen, eher irdenen Bildern fast das Gleiche, nur anders; hier eben von außen betrachtet, aus hypothetischer Ferne, aus der Sicht der Satelliten oder Drohnen, der Außerirdischen, der Göber oder Rechenmaschinen: Einschläge von Kometen oder Bomben in lasurgetränkter Landscham, in der es nur merkwürdige Spuren unseres Daseins gibt. Im Januar 1991 meldete ein Zeitungsartikel, dass die Raumsonde Galileo, im damaligen Aufbruch der Selbstbetrachtung, zur Nasa zurückgefunkt habe, dass es auf der Erde – aus der Sicht 4 hypothetischer Besuchender – »nicht die geringsten Anzeichen und Spuren für Formen intelligenten Lebens« zu entdecken gäbe. Was wir heute, beim derzeitig eskalierenden Stand der Dinge und im zweiten Trump-Wahljahr, wohl nur bestätigen können. Malerisch sind diese »letzten Bilder« also ein Neuland für die Augen derer, die ihr Leben lang Bilder von Dietrich Maus betrachteten und sich in einen urtypischen, höchstpersönlichen Pinselschwung verguckten, der uns alle paar Jahre lang in neuen Werkgruppen abhanden kam und sich erneuert wiederfand. Vom eigentlichen Grund des Malens aus bleibt der Maler sich treu, indem das Suchen nach Hintergrund und Wirkung kein Ende hat. Eine Lehre hat Dietrich Maus nie verschriftlicht und außer in seinen Bildern und den zahllosen Unterrichtsstunden nicht formuliert. Alle paar Jahre hat er die bisherige Erkenntnis seines Schaffens meist schlicht übermalt. Die Erkenntnis als Werk, das Bild als Nebenwerk, als Zeugnis und Zeuge dafür, dass dieser Prozess stattgefunden hat, nicht mehr, auch weniger nicht. Es entstanden keine Pyramiden für Götter und Touristen, stattdessen Bewegungen in den Augenwelten der Lernenden sowie der insgesamt doch überschaubaren Zahl der Besitzenden und Betrachtenden seiner Bilder. Das eigentliche Malen steht bei Dietrich Maus über dem Werk. In manchen Fällen steht danach das eigentliche Werk über dem Malen. Das sehen wir hier. Das, was danach übrig bleibt, steht dann bald dem Weitermalen zur Verfügung und damit steht das Malen wieder vorn, vor dem Werk. Mit diesen ersten der »Letzten Bilder« wird es – sofern Sie nicht mit einem mutigen Akt der Aneignung einschreiten – nicht anders sein. Ich bin ja nur gespannt, mit welchen Motiven Dietrich Maus dann einmal das Universum übermalt … # # #
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